Es ist nicht untypisch für dieses Land, aber es ist ganz sicher untypisch für diese Jahreszeit. Ende Mai, und der Aire liegt mit seinen Läufen eingehüllt in dichtem Nebel. Trost- und farblos ziehen die Schemen der Gebäude an mir vorbei. Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt biege ich mit meinem alten Ford in die Elland Road ein und die helle Beleuchtung der Straße lässt mich mein Ziel erahnen. Langsam steuere ich meinen Wagen auf den ersten freien Parkplatz. Ich ziehe den Kragen meines Mantels hoch, als ich auf das Gebäude zugehe. The Old Peacock, das ist seit jeher Stammsitz des Clubs, für den ich seit einigen Wochen als Teammanager arbeite. Leeds United, hier wird seine Geschichte seit 100 Jahren gelenkt. Die schwere Holztür am Anbau öffnet sich mit ehrwürdigem Knarren und Stimmengewirr dringt an meine Ohren. Ich hänge meinen Mantel und meinen Schal an die Garderobe und öffne die Tür zur Gastschänke. Rauchschwaden durchziehen den Raum und es riecht nach Bier. Ich nähere mich der Theke und werde auch sobald von Marshal begrüßt.
Marshal der Wirt: Grüß dich. So spät noch unterwegs? Magst du etwas trinken?
Ich: In diesen Tagen gibt es immer etwas zu tun. Klar, gib mir ein Pale. Ist der Boss schon da?
Marshal der Wirt: Ja. Er wartet schon seit einer Viertelstunde nebenan.
Ich wende mich um und gehe durch die Schänke. Nur wenige haben sich bei diesem tristen Wetter hierher verlaufen. Am Stammtisch spielen die
Kauze Karten.
Kauze, so heißt bei uns eine kleine Gruppe von Rentner, die kein Training verpassen, die jedes Spiel in den letzten vierzig Jahren im eigenen Stadion besucht haben und irgendwo das sind, wozu auch der Old Peacock gehört – lebendes Inventar des Vereins. Ich grüße schnell durch Klopfen auf den Tisch und schreite weiter auf das Geschäftszimmer zu. Der Präsident sitzt an einem langen Tisch, groß genug für eine Teambesprechung. Er blättert in einem Stapel Papiere, wälzt die Blätter hin und her.
Ich: Und? Hast du Erfolg gehabt?
Präsident: Ja und nein, mein Junge. Der Deal ist perfekt, aber unsere Erwartungen wurden nicht erfüllt. Mehr als 750.000 war einfach nicht drin.
Ich: Mh, immerhin. Das ist zwar deutlich weniger als die erhoffte Million, aber doch deutlich mehr als im letzten Jahr.
Präsident: Stimmt schon, aber von dieser großen Brauerei hätte ich mehr erwartet. Nun müssen wir damit klarkommen. Der Vertrag mit Becks Bier läuft nur diese Saison.
Ich: Umso besser. Dann können wir nach dem Aufstieg neu verhandeln.
Präsident: Dein Wort in Gottes Gehörgang.
Ich gehe um den Tisch und bestaune die alten Fotos, die sich in all den Jahren angesammelt haben. Die Urkunden anlässlich der drei Meisterschaften haben natürlich einen Ehrenplatz und werden gesäumt von blau-weiß-gelben Banderolen. Ich nehme zur linken Platz und hole aus meinem Jacket einen Notizblock.
Präsident: Wird er kommen?
Ich: Ich hoffe ja. Am Telefon klang er sehr interessiert.
Präsident: Einen der vier geplanten Neuzugänge müssen wir wohl streichen.
Ich: Warten wir mal ab, ob sich irgendwo noch etwas einsparen lässt. Nicht jeder hält skrupellos die Hand auf.
Die Tür geht auf und Marshal kommt herein. Er hat mein helles Bier dabei und für den Präsidenten ein Glas Mineralwasser und eine Tablette.
Ich: Probleme?
Präsident: Mir schlägt so viel Aufregung immer auf den Magen.
Marshal: Da ist jemand im Gastraum, der nach dir fragt.
Ich: Sehr schön. Schicke ihn herein.
Marshal: Ich habe das Gesicht schon einmal gesehen. Ein neuer Spieler für United?
Ich: Wir werden sehen.
Kurz darauf tritt Rhys Weston in das Geschäftszimmer. Ein Hüne von Mann. Nicht nur sein derbes Gesicht verrät, dass er schon viel erlebt hat. Trotz seiner roten Haare ist er Waliser. Innenverteidiger beim Walsall FC und ausgebildet in der Jugendakademie von Arsenal.
Ich: Sein sie gegrüßt. Nehmen sie Platz, Rhys
Weston: Ist es bei ihnen hier im Norden immer so unangenehm nasskalt?
Präsident: Ganz bestimmt nicht, und wenn wir wieder mehr Erfolg haben, scheint die Sonne das ganze Jahr.
Ich: Mein Wetter ist das auch nicht, aber dennoch fühle ich mich hier wohl. Die Leute hier sind sehr offen, das darf ich als Deutscher wohl bemerken.
Weston: Das meinte Jason auch.
Ich: Sie haben mit Jason Crowe gesprochen?
Weston: Natürlich. Wir kennen uns aus gemeinsamen Zeiten bei Arsenal. Ich möchte schließlich wissen, was auf mich zukommt.
Präsident: Können sie sich denn einen Wechsel vorstellen? Wir besitzen keine Reichtümer …
Weston: Das Geld kommt erst an zweiter oder dritter Stelle.
Ich: Imponierende Einstellung. Ich habe am Telefon schon kurz umrissen, was wir bieten können. Zum Gehalt käme noch ein Mietwagen dazu. Wir stehen in Verhandlung mit einem regionalen Händler, der ein paar Fahrzeuge zur Verfügung stellt. Leihweise, leider nicht als Geschenk. Am Ende der Saison kann der Verein dann kaufen – oder zurückgeben.
Weston: Ist doch prima. Ich habe einen Wagen und der Verein weder Kosten noch Risiko. Wie sieht es mit einer Unterkunft aus?
Präsident: Für den Übergang haben wir eine kleine Wohnung gemietet, keine fünf Minuten Fußweg von hier. Bis sie eine geeignete Bleibe gefunden haben, können sie dort wohnen. Bringen sie ihre Familie mit?
Weston: Meine Frau wird mitkommen, ja. Sie ist in Bradford geboren.
Ich: Dann kehrt sie also sozusagen heim?
Weston: Ja, so könnte man es nennen.
Präsident: Sind wir uns dann einig?
Weston: Geben sie mir zwei Tage Bedenkzeit. Ich muss vor allem mit meinem Club sprechen. An einer Ablöse werden sie nicht vorbeikommen.
Ich: Das ist klar. Ich denke wir werden mit Walsall schnell Einigung erzielen.
Nach ein paar Floskeln trinkt Weston sein Glas aus und verabschiedet sich. Schon am nächsten Abend ruft er mich auf dem Handy an und bestätigt den Wechsel. Der erste Neuzugang ist perfekt.